Linkedin war lange Zeit nur als Plattform für berufliches Networking bekannt, doch seit einiger Zeit werden die Beiträge der Nutzer immer persönlicher.
Angetrieben durch die lange Zeit im Home Office haben sich die Grenzen dessen, was im beruflichen Kontext angemessen ist und was nicht, verschoben.
Arbeitnehmende müssen nun abwägen, wie viel sie preisgeben wollen – und welche Informationen Kunden und Kollegen nicht unbedingt wissen müssen.
Es war ein schwerer Tag für Matthew Sciannella: Seine Scheidung war beschlossene Sache. Nach zwölf Jahren Ehe und mehreren Kindern hatten er und seine Frau sich während der Pandemie auseinandergelebt. Anfang 2021 beschlossen sie, sich zu trennen.
Als der Marketing-Experte aus Washington D.C. damit konfrontiert wurde, plötzlich wieder Single zu sein, erzählte er es seinen Freunden, schrieb ein Tagebuch darüber und erzählte es seiner Familie. Und dann schrieb er auf Linkedin darüber. „Ich lasse mich scheiden. Gott, ist das scheiße, das zu schreiben“, teilte Sciannella seinen mehreren tausend Geschäftskontakten mit.
Was bedeutet es heute, „professionell“ zu sein?
In dem Beitrag erklärte er, warum er sich dazu entschieden hatte, diese Nachricht in dem sozialen Netzwerk zu veröffentlichen, bei dem eigentlich die Arbeit im Vordergrund steht. „Dies ist für mich jetzt ein menschliches Netzwerk. Ein Ort, an dem ich mich am wohlsten fühle. Am meisten zu Hause. Und am meisten unter Gleichgesinnten“, schrieb er. „Wir alle arbeiten hier auf Linkedin an unseren beruflichen Projekten, aber im wirklichen Leben passiert auch viel.“
Im vergangenen Jahr waren die Grenzen zwischen Arbeit und Leben durch Remote Work in der ganzen Welt verschwommen. Sciannellas Beitrag hatte einen Nerv getroffen. Er erhielt Tausende von Reaktionen und Hunderte von Kommentaren. „Lass es raus, Bruder“, schrieb ein Unternehmensberater. „Scheiß auf die ROI-Gespräche und konzentriere dich jetzt lieber auf deine Familie.“
Doch dann begannen die negativen Reaktionen. Andere Kommentatoren kritisierten seine Entscheidung, so offen mit seinen Kollegen, Kunden und potenziellen zukünftigen Arbeitgebern zu teilen. Und ein Meme-Konto auf Instagram, @BestOfLinkedIn, machte einen Screenshot von seinem Beitrag und verspottete ihn vor seinen Zehntausenden Followern. Der Account schrieb: „Vielleicht wäre das nicht passiert, wenn du nicht jedes Detail deines Privatlebens auf einer professionellen Networking-Plattform geteilt hättest?“
Und so begann ein Arbeitsplatz-Drama, dass eine unangenehme Wahrheit ans Licht brachte: Niemand weiß mehr, was es heißt, „professionell“ zu sein.
Linkedin wächst und die geteilten Inhalte verändern sich
Mit 950 Millionen Nutzern (Stand: Juli 2023) steht LinkedIn kurz davor, eine Milliarde Nutzer zu haben. Die Plattform würde damit in den erlesenen Kreis von Facebook, Instagram und Tiktok aufsteigen, die alle zehnstellige Nutzerzahlen aufweisen. Das 2003 als Online-Speicher für Lebensläufe gegründete Unternehmen, das sich im Besitz von Microsoft befindet, hat sich in letzter Zeit stark gewandelt.
Es gibt nicht nur mehr Nutzer, die etwas posten, sondern sie posten auch viel häufiger. Die Zahl der Linkedin-Beiträge stieg von 2021 bis 2023 um 41 Prozent. Aber es ist der Inhalt der Beiträge, der sich am meisten verändert hat und Linkedin zu einem der seltsamsten sozialen Netzwerke der Welt gemacht hat.
Beispielhaft ist ein Beitrag von Peter Rota, einem SEO-Spezialisten aus Massachusetts. „Ich habe ein Geheimnis“, schrieb er im August 2022 an seine Tausenden von Followern. „Die meisten Menschen wissen nicht einmal, dass dieses Problem real ist. Seit 2015 habe ich damit zu kämpfen, in öffentlichen Toiletten zu pinkeln.“
Rota erklärte weiter, dass seine Art soziale Phobie, die auch als Shy Bladder Syndrome bekannt ist, jahrelang für Probleme gesorgt hatte und er sogar die Hochzeiten von Freunden verpasst hatte. Er hatte eine große Europareise mit Freunden geplant und dachte ernsthaft darüber nach, diese Reise nicht anzutreten, schrieb er.
Aber warum veröffentlichte er so etwas? „Ich hatte gesehen, dass andere Menschen mehr verletzliche Dinge mit mir teilen, um es mal so auszudrücken – und ich hatte das Gefühl, dass ich das einfach teilen wollte“, sagte er mir.
In den vergangenen Jahren habe er auf Linkedin einen Trend hin zu mehr persönlichem Austausch miterlebt und mitgemacht – und er sah darin eine Möglichkeit, sich seinen Dämonen zu stellen und anderen zu helfen. „Ich habe das Gefühl, dass es anderen Menschen manchmal hilft, zu wissen, dass man etwas tun kann“, fügte er hinzu.
Wie kam es zu dieser Entwicklung?
Der persönliche Austausch auf Linkedin floriert, da sind sich die Nutzer der Plattform einig. Grund dafür können Veränderungen der gesellschaftlichen Normen und des gesamten Umfelds der sozialen Medien sein.
Zum einen ändert sich die allgemeine kulturelle Einstellung gegenüber dem Arbeitsplatz und der Frage, was geteilt werden darf. Dies ist zum Teil auf die Pandemie zurückzuführen: Die Menschen waren plötzlich bereit, sich verletzlich zu zeigen und ihre Ängste vor ihren Kollegen zu äußern, so die „New York Times“. Währendessen senkte Remote Work gleichzeitig die Hemmschwelle und hob einen Großteil der Verhaltensregeln am Arbeitsplatz auf.
Es gibt auch einen Generationswechsel: Einige jüngere Menschen haben weniger Probleme damit, private Informationen mit ihren Kollegen zu teilen. Oversharing sei meistens „eine Sache der Gen Z, wenn ich ehrlich bin“, sagt Catalina Valentino, eine 21-jährige Gründerin.
Sie erlangte Anfang des Jahres in Davos Aufmerksamkeit, als sie auf LinkedIn postete, dass sie ihr „schickes neues Paar Louboutins“ auszog, um fast einen Kilometer barfuß durch den Schnee zu einem Treffen auf dem Weltwirtschaftsforum zu laufen, nachdem ihr Auto stecken geblieben war. „Die Leute waren schockiert, aber für mich schien es normal zu sein, dass ich vor nichts Halt mache“, schrieb sie. „Und genau das ist die Mentalität einer Unternehmerin.“
Mittlerweile führt kein Weg an Linkedin vorbei
Außerdem war Linkedin lange Zeit keine Plattform, auf der Nutzer selber Beiträge veröffentlichten. Als die Plattform ihre Sharing-Funktionen ausbaute, hatte sie zwar Hunderte von Millionen Nutzern, aber nicht die gleiche Posting-Kultur wie Twitter oder Instagram. „Es war sehr unerschlossenes Terrain“, sagt Rota.
Einige Nutzer stellten fest, dass ein und derselbe Beitrag auf Linkedin im Vergleich zu konkurrierenden sozialen Plattformen weitaus mehr Beachtung fand – was die Plattform zu einem attraktiven Ort machte, auf den sie ihre Kräfte konzentrieren konnten.
Und inzwischen geht kein Weg mehr an Linkedin vorbei. Facebook ist seit Jahren völlig unbelebt. X, wie Twitter jetzt heißt, ist den Stimmungsschwankungen von Elon Musk unterworfen. Die Kurzvideos von Tiktok sind eine andere Form von Inhalten.
Auf den meisten anderen Plattformen haben die Nutzer aufgehört zu posten. Wie Sarah Frier in einer „Bloomberg„-Kolumne im August schrieb, „wird Linkedin zu einer Seite, auf der sich normale Leute tatsächlich aufhalten und ihre Gedanken posten wollen. Vielleicht ist es sogar cool“.
Schnell begann die satirische Aufarbeitung der neuen digitalen Arbeitskultur
Im Jahr 2018 arbeitete John Hickey im Tech-Vertrieb und hatte genug von der ständigen Selbstvermarktung. Er wollte Schriftsteller werden, aber sein Arbeitsalltag bestand aus E-Mails, in denen er sich selbst lobte. Also beschloss er, etwas Spaß zu haben.
Der Millennial aus San Francisco begann, die schlimmsten „LinkedInfluencer“, die er fand, auf seiner persönlichen Twitter-Seite zu posten: die schamlosen Prahlereien, die persönlichen Anekdoten von zweifelhaftem Wahrheitsgehalt, die #HustleCulture-Gebete, die einen fragwürdigen Ansatz zur Work-Life-Balance propagieren.
Die Beiträge kamen sofort gut an, und die Retweets häuften sich. Also beschloss er, eine eigene Meme-Seite einzurichten, die sich über die Auswüchse der digitalen Arbeitskultur und die ‚Ted Talkification‘ von LinkedIn lustig macht. Er nannte sie @BestOfLinkedIn.
Auf Twitter und Instagram hatte er schnell Zehntausende von Followern, und die Leute begannen, Hickey Beispiele zu schicken, die sie in ihren eigenen Netzwerken gefunden hatten. Er hatte sich unabsichtlich in einen Kämpfer an der Front des seltsamsten Kulturkampfes im Internet verwandelt, bei dem nur wenig auf dem Spiel steht.
In einem Beitrag verspottete er einen CEO, der davon sprach, „verletzlich“ zu sein, und ein weinendes Selfie teilte, nachdem er Mitarbeiter entlassen hatte. In einem anderen Beitrag kritisierte er eine Nutzerin, die über eine Auszeit nach dem Tod ihres Vaters schrieb, aber trotzdem immer wieder auf LinkedIn vorbeischaute. (Er veröffentlichte auch Peter Rotas Blasen-Probleme.) Es entstand ein größerer konkurrierender Account, State of Linkedin, und eine Reddit-Community entwickelte sich – „Linkedin Lunatics“.
Wie man in den Wald ruft…
Als Hickey auf Sciannellas Beitrag über seine Scheidung stieß, hielt er ihn für ein perfektes Beispiel für Online-Oversharing: „Ich dachte: ‚Oh, mein Gott – er hat das alles wirklich einfach so veröffentlicht'“, erinnert er sich. Er schwärzte Sciannellas Namen, wie er es immer bei den Beiträgen tat, die er veröffentlichte, aber Sciannella bekam es trotzdem mit.
Hickey war auf das, was dann geschah, nicht vorbereitet. Ein paar Tage nach seinem Beitrag landete eine wütende E-Mail in seinem Posteingang – von Sciannellas Chef: „Ist Ihnen klar, wie gefährlich es ist, sich über Linkedin-Beiträge lustig zu machen? In zwei Sekunden habe ich herausgefunden, für wen du arbeitest, wer die Partner deiner Agentur sind, wer deine Kunden sind und so weiter“, warnte er bedrohlich. „Wenn du für mich arbeiten würdest und meine Marke auf diese Weise repräsentieren würdest, würde man dir sofort kündigen.“
Die Nachricht, die Hickey von Sciannella erhielt, war sogar noch direkter. Er schickte ihm eine Adresse und forderte ihn auf, ihm das Geschriebene ins Gesicht zu sagen.
Was darf Satire?
Ein klares Zeichen dafür, dass Linkedin in aller Munde ist, ist, dass Beiträge auf der Plattform zur Zeit immer wieder aufs Korn genommen werden.
Jack Raines, ein MBA-Student an der Columbia Business School, hat die Kunst der Linkedin-Parodien perfektioniert. Nachdem die Stadt New York eine Zahlung in Höhe von 100 US-Dollar ankündigte, um die Einwohner zu ermutigen, sich impfen zu lassen, postete er, dass er 100.000 Dollar verdient habe, indem er sich innerhalb von 16 Tagen 1000 Mal impfen ließ: „Gelegenheiten wie diese sind selten, aber man muss sie nutzen, wenn man erfolgreich Wohlstand aufbauen will“, riet er seinen Followern klugerweise. Einige von ihnen fallen unweigerlich auf seine Masche herein und glauben, dass sie echt sind.
Alexander Cohen, eine Führungskraft im Gesundheitswesen in der San Francisco Bay Area, ist ein weiterer produktiver Linkedin-Shitposter, zu dessen besten Werken ein berüchtigter Lifehack-Post mit einem Rezept für ein Butter-Knoblauch-Hühnchen aus der Hotelkaffeemaschine gehört. („Obwohl meine Firma mir erlaubt, das Abendessen auf Reisen zu bezahlen, wollte ich Geld sparen, weil ich weiß, dass jeder Dollar in der Gewinn- und Verlustrechnung zählt“, erklärte er.)
Die Beiträge von Cohen und Raines greifen nun manchmal ineinander über und bilden eine Art Linkedin-Fantasiewelt – ihre Geschichten sind miteinander verbunden. In diesem Sommer postete Raines einen „neuen Finanztipp“ – verkauft die Möbel der Airbnbs, in denen ihr im Urlaub wohnt, um Geld zu verdienen – was Cohen dazu veranlasste, einen scherzhaften Hinweis für Airbnb-Unternehmer zu diesem Thema zu posten: „Die mutmaßliche Übeltäterin – eine Frau namens Jacqueline Rainey – hat sich Buchungen in meinen anderen vier Häusern für die nächsten drei Monate gesichert“, beklagte er.
Versuchen wir nicht alle, unsere Reichweite zu nutzen?
Die Ironie bei Raines ist jedoch, dass er trotz seiner Unaufrichtigkeit genauso unerbittlich mit sich selbst wirbt wie die Linkedin-Nutzer, die er verspottet. Er wirbt ständig für den Newsletter, für den er arbeitet, Young Money, und hat damit begonnen, gesponserte Beiträge für Nahrungsergänzungsmittel zu veröffentlichen. Er will sich durch seine Reichweite einen Job im Finanzbereich beschaffen, sobald er seinen MBA abgeschlossen hat.
„Ich sehe es so, dass ich im Internet lustig bin, und ja, das ist dasselbe wie jemand, der einen Youtube-Kanal aufbaut: Sie versuchen, Reaktionen zu bekommen, aber wenn ihre Inhalte gut sind, ist es dann wirklich Clickbait?“, fragte er. „Nein. Aber was ich nicht mag, sind Leute, die versuchen, so zu tun, als seien sie ein Finanzguru – ‚So werdet ihr reich, entkommt dem Alltag‘ – und euch dann einen Schneeballsystem-Kurs verkaufen.“
Internetposts können reale Auswirkungen haben
Er hat auch schon Rückschläge für sein Posting einstecken müssen. Im Herbst 2022 schrieb er einen satirischen Beitrag darüber, dass er einen Weg gefunden habe, um in New York City nicht für das Essen bezahlen zu müssen: Er ging in ein Hotelrestaurant und berechnete die Mahlzeit auf einem zufälligen Zimmer: „Folgt mir für weitere gute Finanztipps“, schrieb er am Ende.
Kurze Zeit später wurde er plötzlich ins Büro des Studiendekans der Columbia gerufen. Ein empörter Alumni hatte sich über das seiner Meinung nach ehrliche Eingeständnis eines Diebstahls durch einen Studenten beschwert und wollte ihn bestrafen. So kam es zu einem surrealen Gespräch, in dem er der Dekanin erklärte, dass seine Linkedin-Persönlichkeit Satire sei und dass er nicht wirklich Essen aus Hotels in Manhattan stahl.
Letztendlich fand sie es „lustig“, sagte er. (Die Dekanin lehnte eine Stellungnahme ab.) Und er bedauert den Beitrag nicht: Das Treffen mit der Dekanin war eine gute Gelegenheit zum Networking.
Was bringt es euch, auf Linkedin total offen zu posten?
Aber ist offensives Posting auf Linkedin tatsächlich gut für eure Karriere? Das hängt möglicherweise davon ab, wie euer zukünftiger Arbeitgeber zu Linkedin steht. John Reid ist skeptisch gegenüber der Selbstverherrlichung auf Linkedin. Als Kreativdirektor in der Bay Area hat er im Laufe seiner Karriere Menschen eingestellt, entlassen und geführt – und hält viele der selbstdarstellerische Beiträge für potenziell problematisch.
„Ich denke, dass bei Oversharing im Allgemeinen wahrscheinlich schon einige Alarmglocken angehen sollten“, sagte er: „Es zeigt, dass man nicht versteht, wie diese Plattform im Besonderen und die sozialen Medien im Allgemeinen funktionieren, und es zeigt einfach ein schlechtes Urteilsvermögen. Ich denke, wenn man sich den ’sozialen Fußabdruck‘ von Leuten ansieht oder sie einstellt, sollte man sich fragen: Gibt es Anzeichen für ein schlechtes Urteilsvermögen?“
Seine Einstellung zu diesem Thema wurden wahrscheinlich durch einen ungewöhnlichen Anruf bei seinem Arbeitgeber, einer Marketingfirma in Oakland, Anfang 2021 noch verstärkt. Am anderen Ende der Leitung war ein Mann namens Jon Franko, und er war wütend über einen von Reids Untergebenen: John Hickey.
Hickeys Chef hatte ihn wegen des Meme-Accounts eingestellt
Als er mit Reids Chef sprach, fragte der empörte Franko, ob das Unternehmen wisse, dass Hickey unter einem Pseudonym den besagten Meme-Account auf Twitter und Instagram betreibe – und dass @BestofLinkedIn sich gerade über einen Mitarbeiter von Frankos Marketingfirma lustig gemacht habe: Matthew Sciannella, der Geschiedene. Franko wollte Konsequenzen sehen.
Nach einem kurzen und surrealen Gespräch sprachen Reid und sein Chef mit Hickey. Hickey hatte den Beitrag bereits gelöscht, wie er es immer tut, wenn er Ärger bekommt. Reid betrachtete Frankos Anruf als implizite Forderung, Hickey zu feuern, aber das würde nie passieren. Er hatte Hickey aufgrund des Meme-Accounts als Texter eingestellt und war damit natürlich ein Risiko eingegangen.
Reid hatte sich dabei gedacht: „Er hat offensichtlich verstanden, wie man mit Content und den sozialen Medien gewisse kulturelle Ideen formen kann.“ Franko sagte Business Insider, er hätte nicht verlangt, dass Hickey entlassen wird, obwohl er vielleicht ein Gespräch über Disziplinarmaßnahmen gefordert hätte.
Sciannella aber handelte heuchlerisch, glaubte Reid: Er war bereit, sich mit sehr persönlichen Beiträgen zu exponieren, konnte aber den Druck nicht ertragen, der mit der Öffentlichkeit verbunden war: „Da hat er die Rechnung ohne den Wirt gemacht“, sagte er.
Franko hingegen war der Meinung, dass der @BestOfLinkedIn-Post ein unfairer und äußerst unprofessioneller Seitenhieb war – und dass er die Pflicht hatte, seinen Mitarbeitern den Rücken zu stärken. „Ehrlich gesagt gibt es eine Menge Leute, die Linkedin schlecht nutzen, auf eine nervige Art und Weise, die abschreckend wirkt“, sagte er zu Business Insider. „Da sind dann Beiträge wie: ‚Ich habe heute einen hungernden Hund gesehen und ihn gerettet, dabei musste ich plötzlich auch an mein Geschäft denken.‘ Ich habe Matts Beiträge überhaupt nicht so gesehen.“
Persönliche Beiträge sind immer eine Gratwanderung
Bei den meisten Menschen geht dieser Prozess aber eher schleichend voran. Laut Joseph Yeh, einem Tech-Recruiter in Kalifornien, der früher für Linkedin gearbeitet hat, sind Beiträge, die so tief blicken lassen, immer eine Gratwanderung.
„Ich denke, es ist wichtig, sich zu engagieren und zumindest relevant zu sein und sicherzustellen, dass man nichts verpasst und auch manchmal kommentiert. So erkennen Leute, dass es sich um ein ‚echtes‘ Profil handelt.“, sagte er. „Das hilft den Leuten erstens, sich an dich zu erinnern. Zweitens hilft es euch zu verstehen, was in diesem Umfeld gerade wichtig ist.“
Andererseits kann die falsche Art von Content auch abschreckend wirken: „Auf Linkedin werden die Leute immer noch darauf schauen und denken: So möchte ich mich nach außen hin beruflich präsentieren.“
Was genau auf Linkedin akzeptabel ist und was nicht, hängt von den Normen in eurer Branche ab: Vertreter aus der Tech-Branche haben möglicherweise ganz andere Vorstellungen von Professionalität als Anwälte. Wenn ihr es richtig anstellt, kann es euch helfen, euch abzuheben und weiterzukommen – solange ihr es nicht übertreibt. Aber wenn ihr aus dieser Tretmühle aussteigen wollt und deshalb kein Profil aus Linkedin habt, könnten Arbeitgeber auch eine falsche Idee bekommen. Nur, dass ihr gewarnt seid.
Linkedin fördert Inhalte, die auf Wissen und Menschlichkeit setzen
Linkedin will kein Ort sein, an dem Beiträge viral gehen. Das ist die Botschaft von Daniel Roth, dem Chefredakteur der Website, der seit 2011 für das Unternehmen tätig ist, nachdem er zuvor als leitender Redakteur des Magazins „Fortune“ gearbeitet hat.
Im Laufe des vergangenen Jahres wurde der Algorithmus der Website dahingehend geändert, dass „wissensbasierte“ Inhalte – also Beiträge, die den Nutzern helfen, in ihrem Job voranzukommen – gegenüber selbstdarstellerischen Lobgesängen bevorzugt werden.
Seit dem durch die Pandemie ausgelösten Boom für persönlichen Austausch, so Roth, ist das Pendel zurückgeschwungen – aber nicht so weit zurück, wie es vor der Pandemie war. „Die neue Normalität ist, dass man im Büro miteinander redet, dass man eher bereit ist zu zeigen, wer man als Person ist und wie man beruflich agiert“, sagte er.
„Diese Art von Verletzlichkeit ist meiner Meinung nach ein fester Bestandteil der Art und Weise, wie die Nutzer auf LinkedIn posten. Es geht also in erster Linie um Wissen, aber es geht um Wissen plus Menschlichkeit“.
Der Vorfall zeigt, dass es wichtig ist, einen freundlichen Umgang zu behalten
Der Streit zwischen Hickey und Sciannella zeigt vielleicht, wo der Knackpunkt ist. Sciannella wusste erst Tage nach dem Vorfall, dass sein Chef Franko Hickeys Arbeitgeber angerufen hatte. Er hatte den @BestOfLinkedIn-Beitrag in einem Slack-Kanal des Unternehmens markiert, und Franko beschloss, die Sache selbst in die Hand zu nehmen.
Aus Frankos Forderungen wurde nichts, und er schrieb anschließend auf Linkedin über den Vorfall: „Ich hoffe einfach, dass dies eine Erinnerung für uns alle ist, auf Linkedin nett zueinander zu sein. Denn wenn wir das nicht tun, können wir in ganz schnell arbeitslos werden und es uns mit unseren Kontakten verspielen.“
Das wurde aus den beiden Beteiligten:
Hickey und Sciannella haben sich letztendlich nicht gestritten. Stattdessen arbeitete Hickey noch etwa ein Jahr weiter in der Firma, bevor er Associate Creative Director wurde und mit hochrangigen Kunden wie Salesforce, Jameson und den New York Mets zusammenarbeitete. Zwei Jahre später schaut er nur noch selten auf Linkedin vorbei und postet nur noch etwa einmal im Monat auf seinem Meme-Account, während er vor etwa einem Jahr noch täglich aktiv war.
„Manchmal erlebe ich haarsträubende Sachen auf Linkedin, nun ja, über die kann ich nicht schweigen“, sagte er. „Aber wenn ich mich täglich über irgendeine Hausfrau lustig mache, die auf Linkedin schreibt, dass ihr 6-jähriges Kind ihr gesagt habe, dass sie Superwoman sei…ich weiß nicht, da habe ich das Gefühl, dass ich auf Schwächere losgehe.“
Sciannella hat sich inzwischen wieder gefangen: „Ich war in diesem Moment sehr, sehr wütend. Es war offensichtlich eine sehr turbulente Zeit in meinem Leben“, sagte er, „ich glaube, ich bin jetzt ein bisschen ruhiger geworden, was das angeht. Und ich denke, dass ich im Grunde genommen viel glücklicher bin.“ Er hat einige Beförderungen und Jobwechsel hinter sich. Und er ist immer noch aktiv im sozialen Netzwerk, wo er jetzt etwa 6000 Follower hat, und berichtet über seine Arbeit und Karriere.
Anfang 2023 hat er erneut geheiratet. Und berichtete darüber auf LinkedIn.
Dieser Artikel wurde aus dem Englischen übersetzt. Das Original findet ihr hier.
Author: Cynthia Edwards
Last Updated: 1699133642
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